So fühlt sich also Kentern an

Die ersten Wellen sind harmlos. Heben das Bötchen an und lassen es sanft auf der anderen Seite wieder hinabgleiten. Man muss breitbeinig stehen, es wackelt ganz schön, aber die Seemannshaltung verspricht Sicherheit. Dann kommt ein ziemlicher Brecher angerollt, türmt sich sand-schlamm-braun vor dem Bötchen auf, als wolle es ihm zeigen, dass es im Weg steht. Das Wasser schwappt über den Bug, dessen Spitze in der Welle versinkt und nach unten sackt, viel früher, als es physikalisch eigentlich vorgesehen ist, dass es nach unten geht in dieser Wellenachterbahn.

Das Metallboot, etwa vier Meter lang, nach dem Kentern. Jetzt muss es erstmal Wasser lassen. Foto: cku

Das Metallboot, etwa vier Meter lang, frisch umgedreht nach dem Kentern. Jetzt muss es erstmal Wasser lassen. Foto: cku

Das Tauchequipment, das auf dem Blechboden liegt, ist bereits vor dem Tauchgang patschnass. Die nächste Welle lässt es ganz schwimmen im Blechboot, und denen, die dazwischen stehen und schon so oft dort standen, wird klar, dass dieser Wellenritt nicht gut ausgehen wird. Der zweite Brecher flutet das Bötchen so sehr, dass es mit deutlicher Schlagseite backbord in den Wogen hängt. Es wehrt sich noch, bis die dritte Woge ihm den Kiel gen Himmel drückt. Menschen springen und fallen raus, versinken in der Gischt, Tauchflaschen treiben zwischen ihnen.

Und über allem steht das schwankende Bötchen um 90 Grad nach Backbord gedreht, nur noch auf seiner kleinen Metallreling und droht mit seinen ganzen schweren Stahlkilos auf die zu krachen, die Sekunden vorher rausgefallen sind. Das Meer ist flach und felsig an dieser Stelle, man kann locker stehen. Begräbt das Boot die Menschen, können sie selbst dann nicht drunter wegtauchen, wenn es ihnen vorher nicht schon auf den Schädel gekracht ist. Einer versucht verzweifelt, das Boot wegzudrücken, damit die Leute Abstand gewinnen. Jede neue Welle reißt die Füße weg, das Gegenhalten ist kaum möglich. Irgendwann schlägt das Boot komplett um, alle sind weit genug entfernt, niemand wird getroffen. „An Land, geht an Land“, brüllt die Taucherin den anderen Tauchern zu, die ratlos das kieloben treibende Bötchen anstarren, und greift dabei alles an Equipment, was sie zu fassen kriegt, rennt damit an Land und dann wieder ins Wasser, im Laufen den Taucheranzug, der nur bis zur Hüfte angezogen war, hochziehend; ausgerechnet heute hat sie diesen alten ausgeleierten Bikini an, der den Wellen nicht standhalten wird, da ist sie sicher. Die Ohrenstöpsel hat sie auch nicht drin, wie ärgerlich, wenn das jetzt eine Gehörgangsentzündung geben würde in diesem Brackwasser, nach vier Monaten ohne jegliche Probleme dank der Ohrenstöpsel, die im Moment des Überbordgehens aber im Drybag lagen, von dem sich hinterher herausstellen wird, dass er so dry nicht geblieben ist. Das wäre eine sagenhafte Verschwendung,  die Ohren stöpselfrei entzündet zu wissen, obwohl man nicht mal tauchen war. Das sind die Gedanken einer, die gerade vom Boot gefallen ist und aus dem Meer ziehen will, was dieses freizugeben bereit ist.

Plötzlich sind ganz viele Menschen im Wasser, wo auch immer die vorher waren, bis zum Kentern wurden sie nicht gesehen, doch in Sekundenschnelle ist die komplette männliche Resortbesatzung samt der Gärtner da und rettet, was zu finden ist in brauner Brühe, die sich Meer nennt – eigentlich. Tauchen nach Masken, Computern und Blei ist nur tastend möglich, Sicht ist nicht vorhanden. Es ist, als stecke man den Kopf in einen Eimer mit aufgequirltem Schlamm. Nach und nach erfühlen sie Flossen und Masken, selbst Kompass und Computer werden geborgen, alle helfen mit und lassen sich nicht erschrecken von den Wellen, die über ihren Köpfen brechen und dreckig-weiße Gischt spucken. Und gemeinsam haben sie Spaß dabei, finden fast alles, nur der Zeigestab der Taucherin ist verlustig, was zu verschmerzen ist, bringen die Fundstücke an Land, ziehen mit vereinten Kräften das umgekippte Boot gen Ufer und drehen es mit einer der Wellen um.

Anschließend gibt es Kaffee und Kekse für alle, der Teamgeist  ist da, es ist dieser liebenswerte balinesische Spirit: Wenn was passiert, dann sind alle zur Stelle. Diskussionslos. Die Taucherin grinst.

Es hätte ganz anders ausgehen können, dieses Kentern, das wissen alle. Die Taucherin, die an diesem Morgen, eine halbe Stunde vor dem Überbordgehen, zum ersten Mal überhaupt gedacht hat, sie wolle vielleicht ausnahmsweise mal nicht in das kleine Boot einsteigen, sondern lieber zum großen Boot schwimmen, obwohl es kaum Wellen gab und ihr normalerweise niemals einfallen würde, zu schwimmen statt das Zubringerbötchen zu nehmen, mag es, dieses Abenteuer, das aufregend war, aber in keiner Sekunde Angst gemacht hat.

Das Meer meint es gut mit ihr, immer.

Dieser Text nimmt an der Blogparade „Wenn Reisen Angst macht“ von Bezirzt teil.