Staunend bei Mama Zrinka

Wir sind bei Mama Zrinka gelandet, und das ist eine von denen, die man sich angucken muss, um zu glauben, dass es solche wie sie wirklich gibt.

Mama Zrinka würde sich auch gut als Jahrmarkt-Wahrsagerin machen. Sie hat schwarzen Kajal großflächig um ihre dunklen Augen verteilt, dazu ein Tuch wüst in ihre Haare gewickelt und die Lippen so mit knallrotem Lippenstift bedeckt, wie es Dreijährige machen, wenn sie motorisch noch sehr unkoordiniert zum ersten Mal mit Muttis Schminkutensilien hantieren. Konturen sind nicht zu erkennen, es ist eher auf Breite denn auf Lippe angelegt.

Mama Zrinka trägt ein schulterfreies gelb-orangefarbenes Top über ihren wogenden Brüsten, wobei das Top ein zusammengewickeltes Tuch ist, wie man beim zweiten Hinsehen erkennt. Ihre sehr langen, sehr dünnen Beine stecken in schwarzen Leggins. Als wir ihr das erste Mal begegnen, trägt sie dazu lilafarbene Gummihandschuhe und reicht uns ihren Unterarm, weil sie an den Händen ja lilafarbene Gummihandschuhe hat und gerade das Abendessen zubereitet. Wir finden sie auch erst, als wir in ihre Küche marschieren. Sie hängt mit dem halben Körper in einer Tiefkühltruhe.

Mama Zrinka ist ein Erlebnis. Sie fragt nicht, wer wir sind, sondern: „Was wollt Ihr trinken, Bier, Wein, Schnaps?“ und guckt irritiert, als Kaffee und Saft geordert werden. Der Saft ist angerührtes Pulver, der Kaffee lauwarm. Aber irgendwie ist das egal bei Mama Zrinka, die einen immer anfasst, wenn sie mit einem spricht. Die Zimmer in Mama Zrinkas Pension sind schlicht und schmörmelig und voll mit Mücken. Aber auch das ist okay, weil das alles so skurril ist, dass man es gar nicht anders als okay finden kann. Dazu gibt es einen Balkon mit Blick auf die Adria, und der ist so schön, dass sich sofort das Urlaubsgefühl einstellt. Hier bleiben und zur Ruhe kommen – das wird funktionieren.

Am Abend tischt Mama Zrinka eine Fleischplatte auf, die für eine halbe Fußballmannschaft gereicht hätte. Es gibt dazu Bohneneintopf, Suppe, Pommes, Gemüse und Salat. Und noch einen Schnaps, den ich allerdings nach kurzem Nippen für medizinischen Alkohol halte und dankend weiterreiche. Dann ruft Mama Zrinka, dass Gast Silke Geburtstag hat, es tauchen zwei Frauen mit Gitarren auf und Mama Zrinka singt mit ihnen und der kleinen Tochter von Gast Silke ein kroatisches Lied, das vermutlich ein Glückwunschsong ist. Dazu schwenkt das Quartett LED-beleuchtete Plastiktulpen und sorgt für offene Münder.

Hier lässt es sich arbeiten. Foto: cku

Hier lässt es sich arbeiten. Foto: cku

Der Morgen ist noch absurder: Das Frühstücksbüffet ist in Mamas Wohnzimmer aufgebaut. Neben ihrem Modeschmuck, der in einer Plastikschale liegt, stehen Müsli, Brot, Rührei, zig Gläser Marmelade, Obst und Aufschnitt. Mama Zrinka läuft herum, wieder in Tuch und Leggins gehüllt, und füllt nach, entschuldigt sich, dass sie nachfüllt, während man am Büffet steht und sagt, dass man ihr unbedingt mitteilen solle, wenn etwas fehlt. Dann greift sie irgendwann ein Megafon, positioniert sich so, dass sie ihren Lautsprecher in Richtung eines Balkons hält, und fordert den dort offenbar wohnenden Gast Herrn Schmidt auf, sofort herunterzukommen, das Frühstück dauere nicht mehr so lange. Herr Schmidt hört auch brav und zockelt kurz danach an, was Mama Zrinka als deutsche Gründlichkeit lobt. Der Kaffee ist wieder lauwarm, aber der Tag fängt super an mit Mama Zrinka, die so was sein muss wie eine Schauspielerin, weil kein Mensch ernsthaft so sein kann wie sie.

Schön hier, in Kroatien.

Ein Foto des Wohnzimmerfrühstücksbüffets wird nachgereicht, versprochen. Sonst glaubt einem das ja wieder keiner.