Ronny möchte meine Telefonnummer haben. Er hat ein Boot und will mir die besten Surfspots von Palau zeigen. Einfach anrufen, schon hole er mich und alle meine Freunde ab, sagt er und zieht dabei in einem kleinen Terrassen-Café auf einer ebenso kleinen Insel im Südpazifik an einem Joint. Die milchglasigen braunen Augen wandern zwischen seinem Handy, mir und der Beerdigungsgesellschaft auf der Straßenseite gegenüber hin und her. „Wie heißt Du nochmal?“, fragt Ronny, der aussieht wie eine sehr mitgenommene Version von Keith Richards, zum wiederholten Mal und startet dann den dritten Versuch, meinen Namen in sein Handy zu tippen, den runtergerauchten Joint zwischen faltigen Fingern eingeklemmt.
Spätestens beim „R“ vergisst er aber immer, was er gerade tun wollte. „Ach ja“, sagt Ronny und lacht. Es ist ein lautes, kehliges Lachen, das von vielen Joints, viel Alkohol und noch mehr Erlebtem zeugt. Zum Glück hält Ronny mit seinen Geschichten nicht hinterm Berg, und so erfahren zwei staunende Amerikaner und ich an einem heißen Nachmittag auf Peleliu, einer kleinen Insel des Inselstaats Palau, dass Ronny Kokain für die gesündeste Droge der Welt hält, sein Geld als Heroinschmuggler verdiente, erfolgreicher Surfer war, in den 60ern und 70ern auf sämtlichen Musikfestivals in den USA und auf Hawaii herumhing und drei Tage ohne Essen im Knast von Tijuana saß, weil bei irgendeinem seiner Drogendeals irgendetwas eklatant schiefgelaufen war.
Dass ich nüchterne Kapitäne bevorzuge, können die beiden Amerikaner verstehen. Ronny nicht wirklich, aber er vergisst sowieso immer wieder, was er eigentlich vorhatte, und berichtet, im Januar nach Deutschland reisen zu wollen, um seine Vorfahren zu suchen. „Heißt Du Maier?“, fragt er mich zum dritten Mal. Sein Opa sei ein Maier gewesen. Und dessen Familie wolle er nun suchen. Meinem Einwand, dass das mit der einzigen Angabe „Maier“ recht aussichtslos sein dürfte, pustet er eine Haschwolke entgegen. „Warum?“, fragt er und lacht dreckig. Dann versucht er wieder, meinen Namen in sein Handy zu tippen, wird aber von seinem Sitznachbarn abgelenkt. Der fragt mich, ob ich kiffe und möchte mir höflich Ronnys angelutschten Joint rüberreichen. Es handelt sich bei dem Mann um einen älteren, bis auf eine leicht schmuddelige kurze Hose recht ordentlich wirkenden Herrn, der schon bei der Fährüberfahrt nach Peleliu neben mir saß und juristische Texte studierte. Ich hielt ihn für seriös und seinen Eifer, mir während der sehr schaukeligen Bootstour Zeitungsartikel, in denen über ertrunkene Europäer berichtete wurde, anzureichen, für reine Fürsorglichkeit. Den Joint lehne ich ab. „Aber ICH kiffe“, grölt der Mann, schlägt sich auf sein Holzbein aus Plastik, das aus dem linken Hosenbein ragt, und zieht mit Begeisterung an Ronnys Selbstgedrehtem.
Derweil stellt ein deutlich jüngerer Einheimischer eine Packung Kekse vor mir ab. Es handelt sich bei sämtlichen Herren um Gäste der Beerdigungsfeier gegenüber, allesamt irgendwie verwandt, die die Feier zwecks Alkohol- und Drogenkonsums aber mal kurzerhand verlassen haben und nun im Café für Unterhaltung sorgen. „Du hast nichts zum Lunch gegessen, das habe ich beobachtet“, sagt er. „Also habe ich Dir Kekse gekauft.“ Gegenüber singen die Frauen der Beerdigungsgesellschaft immer lauter, und Ronny, der das Kekspräsent nicht bemerkt, schreit dagegen an. „Ich habe 500 Tauchgänge an Blue Corner gemacht“, ruft er mir zu. „Aber oben ist es so viel besser.“ Man muss wissen: Blue Corner ist DER Tauchspot Palaus schlechthin. Bekannt für heftigste Strömung und Haie en masse. Findet Surf-Senior Ronny aber langweilig, weil die Wellen drüber so viel aufregender seien. Er werde bald ein Surfresort eröffnen, erklärt er mir stolz, und ich solle doch bitteschön die Vermarktung in Deutschland übernehmen. Im Land der Maiers, wo ich mich schließlich auskenne. Wie ich noch mal heiße? Ah, Corinna, stimmt ja. Maier zufällig? Ach, nein? Naja, macht nichts. Ich dürfe in seinem neuen Surfresort kostenlos wohnen, mit allen Freunden und wann immer ich wolle, beteuert Ronny. Mit der Resorteröffnung scheint Ronny allerdings genauso erfolgreich zu sein wie mit dem Versuch, Namen in sein Handy zu tippen. Seit 30 Jahren spricht er davon, erfahre ich später. Aber irgendwas hält ihn immer ab. Der Knast in Tijuana. Kokain. Die Wellen. Man kennt das.
Später am Nachmittag ist Ronny mit seiner Altherren-Kifferrunde aus dem Café verschwunden, und ich erzähle einem jungen Typen aus Alaska, der seit anderthalb Jahren auf der Insel lebt, von meiner Begegnung. „Der sieht aus wie Keith Richards“, beschreibe ich. „Den musst Du hier doch schon mal gesehen haben!“ Wir befinden uns auf einer 13 Quadratkilometer großen Insel mit etwa 500 Einwohnern und einer Straße. Der Alaska-Typ zuckt mit den Schultern. „Wer ist denn Keith Richards?“, fragt er ehrlich interessiert, und ich glaube zunächst an eine besondere Art des Humors. Man muss die Stones ja nicht mögen (Ich bin definitiv Team Beatles). Aber doch immerhin kennen! Er kennt sie nicht. Wirklich nicht. Nie davon gehört.
Meine Fassungslosigkeit wird schnell unterbrochen. Ein Österreicher kommt ins Café gehetzt. Er gehört zu einer Sechs-Personen-Reisegruppe, die im Minivan die Insel erkundet. Mich hat er als Europäerin ausgemacht, und so stürzt er direkt auf mich zu und schießt ohne „Hallo“ zu sagen, los: „Der Typ da im Bus, der sagt wirklich, dass Trump der beste Präsident ist, den die USA jemals gehabt hat!“ Dabei deutet er auf einen hartgesichtigen Mitreisenden mit Trekkingsandalen (Ich sag’s ja: Traue nie einem Menschen mit Trekkingsandalen!), der nassgeschwitzt aus einer Coladose trinkt und neben dem Busfahrer sitzt. Der Österreicher muss das einfach loswerden, und ich gucke betroffen und wünsche viel Kraft für die Weiterfahrt. Ronny hätte das bestimmt lässiger gelöst. Wobei… was noch gleich?