Dunkle Nächte. Richtig dunkle Nächte

In der Karibik ist es nachts dunkler als anderswo. Das mag komisch klingen, ist aber so. Und zwar fällt hier ständig der Strom aus. Meistens nachts, vermutlich ist das Ganze eine inseleigene Energiesparmaßnahme. Erst bellen und knurren die ganzen wilden und halbwilden Hunde auf der Straße wie immer. Das machen sie gerne und ausgiebig, und sie machen die Nächte dadurch alles andere als ruhig. Nebenan am blauen vergitterten Haus – aufgrund hoher Kriminalitätsrate ist eigentlich jedes Haus vergittert –, auf dem „China Restaurant“ steht, das aber eher so was wie ein Socializing-Kiosk ist, sitzen die Männer des Dorfes und unterhalten sich lautstark. Man weiß nie so genau, ob sie nur angeregt sprechen, oder ob das Ganze kurz vor einer Schlägerei steht. Die Worte fliegen harsch, es klingt aggressiv, aber vielleicht berichten sie sich nur von der neuen Maria-Statue in der Ortskirche oder den Bäumen, die neulich bei einer Art „Unser Dort soll schöner werden“-Aktion im Wurzelbereich so angepinselt wurden, dass sie nun wie Kraken aussehen. Kurzum: Es ist eine ganz normale karibische Nacht. Im besten Fall weht ein Wind, der dann wiederum die Vorhänge verweht, was nicht so toll ist, weil dann das Licht des Nachbarhauses oder der Straßenbeleuchtung ins Zimmer scheint.

Und dann – buff! Alles dunkel. Stromausfall. Das Interessante ist, dass die curacaosche Dunkelheit eine Vollkommene ist. Man sieht wirklich nichts mehr, von wegen Hand vor Augen und so – das klappt echt nicht. Einfach mal die Welt abgeschaltet. So funktioniert das also.

Die Dunkelheit, die einen selbst im noch eher unbekannten Terrain vor tasterische Schwierigkeiten stellt, wenn man ins Bad tapsen will oder ins Wohnzimmer, weil die dort stehende Alarmanlage ebenfalls bemerkt hat, dass sie nicht mehr mit Energie versorgt wird und daraufhin stundenlang laut und enervierend piept, um einem mitzuteilen, dass sie keinen Strom mehr hat und nur noch auf Akku läuft; diese Dunkelheit stoppt das komplette Leben. Die Männer nebenan verstummen plötzlich, vermuten tasten auch sie sich nach Hause. Und die Hunde stellen unmittelbar mit Ausgang des Lichts das Bellen ein. Die Nächte sind stockdunkel dann und sehr leise.

Und nach dem ersten Strom-weg-Vorfall nachts um 2 Uhr, bei dem ich komplett alleine im 200-Quadratmeter-Haus war und in Erwägung zog, dass dies ein Trick von Einbrechern sein könnte, die einfach das Haus dunkel gemacht haben, um besser einbrechen zu können, bis ich begriff, dass auch bei den Nachbarn nichts mehr brannte und auch die Straßenlaternen aus waren – was für einen Einbruch, selbst in ein 200-Quadratmeter-Haus, doch ein wenig viel Aufwand gewesen wäre, da weiß ich die nächtlichen Stromausfälle nun sehr zu schätzen, weil sie diese außergewöhnlich dunkle Dunkelheit und eine Ruhe mit sich bringen, die ich sonst noch nirgendwo erlebt habe. Gut, die Sache mit dem Alarmanlagen-Gepiepe muss man sich dann wegdenken, aber totenstill ist es in den 30-Sekunden-Intervallen, in denen sie nicht piept.

Vorgestern Nacht brach der Strom kurz vor einem Riesenunwetter weg. Nacht ist übertrieben, es war vielleicht 20 Uhr. Also beste Abendzeit, bumms, stockdunkel. Und dann krachte der Donner los, und es goss in Strömen und die Blitze machten das Zimmer hell. Es war toll, wirklich. Im Stockdunklen macht so ein Gewitter noch einiges mehr her.

Tagsüber fällt der Strom übrigens auch immer mal wieder aus, und man merkt dann, wie gewohnheitsmäßig man eigentlich ist. Der Kopf registriert: Der Strom ist weg. Alles klar. Dann geht man ins Zimmer, wo die Vorhänge zugezogen sind, und will das Licht einschalten. Klappt nicht. „Ach ja, Stromausfall“, sagt man sich, geht wieder ins Wohnzimmer, setzt sich an den Esstisch und stellt den Ventilator an, der natürlich auch nicht funktioniert. Das Schöne ist, und nun muss ich mir keine Sorgen machen, dass mein Geisteszustand in Mitleidenschaft gezogen wurde: Ich bin damit nicht alleine. Während ich mich mit dem Ventilator abmühte, steckte die Mitbewohnerin, unmittelbar nachdem ich sie gebeten hatte, den Kühlschrank nicht so oft zu öffnen, damit das Zeug drinnen, das wegen des Stromausfalls ja nicht mehr gekühlt wird, nicht so schnell verdirbt, mehrere Scheiben Toast in den Toaster.

Nachts sind Stromausfälle wirklich netter.

Fotos der Umgebung gibt es hier.